Es ist ein reicher Prozess, das gesamte Stück in Einzelteile zu zerlegen, um durch Vorstellungskraft jedem einzelnen Klang sein einzigartiges Gesicht verleihen zu können, im Zusammenhang mit dem, was musikalisch geschah und dem, was kommt.
Man erfährt die Struktur des Werkes eben nicht im rein akademischen Sinn, sondern eher als lebendigen Organismus. Dieser Arbeitsprozess führt im idealen Fall zu einer Art Neuschaffung des Werkes.
Beobachter zu sein, alle inneren Eigenschaften des Stückes - die Farben der Harmonien, die innere Spannung der verschiedenen Stimmen und ihre Drama - bewusst wahrzunehmen und sie dann für sich selbst sprechen zu lassen, ist ein wunderbares Spiel.
Dieser Gedanke ließe sich an Pirandellos Stück Sechs Personen suchen einen Autor illustrieren. Auf die Musik übertragen würde man die verschiedenen Charaktere dabei beobachten, wie sie sich in ihren Konflikten gegeneinander positionieren, wirklich versuchen, sie zu verstehen und dadurch gleichsam selbst den Interpreten „suchen“.
Nichts anderes, als Musik ihre eigene Geschichte erzählen zu lassen, wäre nötig. Die melodisch aufsteigenden Quarten am Anfang der Alban-Berg-Sonate bilden in konzentrierter Form fast die ganze Identität des Stückes, man muss ihnen nur bewusst zuhören. Wenn man sich tief im Prozess befindet, verspürt man nicht mehr die angebliche Einsamkeit des Pianisten oder der Pianistin.
Im Gegenteil: Es entsteht ein einmaliger Raum zwischen Pianist_in und Musik. Das Zusammenleben mit einem Stück ist ein spannender Prozess und jedes Mal eine Reise ins Innere - dem Ort, an dem man ständig über Musik und über sich selbst erfahren kann.